Zukunftsweisende Studie: 7 Milliarden Euro Investitionsbedarf für Radverkehr

Zukunftsweisende Studie: 7 Milliarden Euro Investitionsbedarf für Radverkehr

Eine im April 2022 präsentierte Studie der Radkompetenz-Mitglieder Planoptimo und Verracon hat im Auftrag des Bundesministeriums für Klimaschutz und aller neun Bundesländer analysiert, welche Maßnahmen und Investitionssummen nötig sind, damit in Österreich mehr Menschen mit dem Rad fahren und somit die Ziele des Masterplans Radfahren bis 2030 erreicht werden könnten. Rund sieben Milliarden Euro sind das Ergebnis, wenn man die höchste Qualitätsstufe heranzieht. In der fachlich höchst interessanten Studie stecken aber noch weitere erstmalig erhobene Erkenntnisse: wieviele Kilometer Radwege fehlen in Österreich? Und wie lässt sich das modellhaft errechnen?

Die Studie wurde in Kooperation von Bund und Ländern erstellt, um den notwendigen Investitionsbedarf für die Zielerreichung des Masterplans Radfahren für Gebietskörperschaften und darauf aufbauend den Budgetbedarf für das gesamte Maßnahmenpaket abzuschätzen. Die vorliegenden Ergebnisse sollen als Diskussionsgrundlage für die weiteren Umsetzungsschritte dienen. Ziel dieses Diskussionsprozesses sollte es ein, den Radverkehr durch ein umfassendes Investitionsprogramm mit dem Zielnetz der ÖBB und dem ASFINAG Ausbauprogramm vergleichbar zu machen und es so mit dem Schienen- und Straßenverkehr auf eine Stufe zu stellen.

Vergleich

Zielsetzungen von Bundesregierung und Ländern erfordern Investitionen

Neben dem Masterplan Radfahren, der eine Verdoppelung des Radverkehrsanteils auf 13% als Ziel festlegt, hat die österreichische Bundesregierung im Mai 2018 eine Klima- und Energiestrategie (#mission2030) verabschiedet. Die Strategie ist darauf ausgerichtet, die Nachhaltigkeitsziele bis 2030 in den Bereichen Treibhausgas-Reduktion, erneuerbare Energie und Energieeffizienz im Einklang mit den Zielen der Europäischen Union zu erreichen. Sie legt einen besonderen Fokus auf den Bereich Verkehr. Neben der übergeordneten Bundesstrategie haben sich auch alle neun Bundesländer zur Zielsetzung bekannt und zum Teil bereits Länderstrategien vorgelegt. Bereits im Jahr 2018 errechnete Radkompetenz Österreich (hier nachzulesen), wie hoch der Investitionsbedarf im Radverkehr sein muss, um eine signifikante Änderung des Modal Splits durch einen Mitteleinsatz von mindestens 30 Euro pro Kopf und Jahr durch die öffentliche Hand erreichen zu können. Die darin errechneten drei Milliarden Euro für den Zeitraum 2020 bis 2030 dienten als Anregung für die nun vorliegende fundierte Studie, die wir hier zuerst im Überblick und dann im Detail vorstellen.

Zusammenfassung: acht Bestandteile des Investitionspakets

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie ergeben einen Gesamtinvestitionsbedarf zur deutlichen Steigerung des österreichweiten Radverkehrsanteils zwischen 5,57 Milliarden Euro und 6,95 Milliarden Euro. Die Unterschiede zwischen den Szenarien 1, 2 und 3 ergeben sich aus dem Anteil von baulich getrennten Radwegen an der angepeilten Radinfrastruktur: Das bestmögliche Szenario 1 ergibt dadurch Kosten von 6,95 Milliarden Euro.

1. Infrastruktur für den Fließverkehr: Den größten Brocken der Gesamtsumme macht folgerichtig die Infrastruktur für den Alltagsradverkehr aus: Für den Netzausbau auf der regionalen und lokalen Ebene sind je nach Infrastrukturqualität im dichter bebauten Gebiet zwischen 4,0 und 5,4 Milliarden Euro notwendig. Dazu kommen der Ausbaubedarf für Radschnellverbindungen mit 600 Millionen Euro und die Lückenschlüsse in den Freizeitradwegenetzen mit 240 Millionen Euro.

2. Infrastruktur für den ruhenden Verkehr: Als zweiter Posten sind 144 Millionen Euro für die Errichtung von Radabstellanlagen an Bahnhöfen, Bus- und Straßenbahnhaltestellen sowie im öffentlichen Raum  notwendig. Um die Fahrradmitnahme in den Zügen der ÖBB zu verbessern, wurden Investitionen im Ausmaß von 22 Millionen Euro seitens Vertreter:innen der ÖBB kommuniziert. Diese umfassen sowohl die Umbaukosten für die Neugestaltung der Fahrradabteile in 52 Railjet-Garnituren inklusive Fahrradhebeliften als auch die Kosten zur Ausstattung von 100 Cityjets mit hybriden Wagenlösungen zur flexiblen Abdeckung der Nachfrage im Personen- und Fahrradtransport.

3. Radverleihsysteme: Der Investitionsbedarf dieses Bereichs  setzt sich aus Kosten für die Einführung neuer Systeme, falls solche bereits vorgesehen sind, und für den Ausbau bestehender Systeme oder für die Erneuerung der Flotte bis 2030 zusammen. Dabei wurden nur durch die öffentliche Hand gestützte Systeme im Alltagsverkehr und keine im Tourismusverkehr berücksichtigt. Die Kosten für ganz Österreich betragen laut Auskunft der Länder und Städte in Summe rund 33 Millionen Euro bis zum Jahr 2030, wovon der größte Anteil mit 27,6 Millionen Euro dem neuen Citybike Wien System „WienMobil Rad“ zugeschrieben wird. Wien stellt soeben sein Leihradsystem mit Nextbike auf neue Beine und investiert laut Auskunft der Wiener Linien bis 2030 diesen Betrag in die Errichtung von rund 200 Stationen mit gesamt 3.000 Leihrädern inklusive Servicierung, Wartung, Verteilung der Räder und Kundenmanagement.

4. Kommunikation: Für diesen Bereich mit Veranstaltungen, Kampagnen, Imagebildung wurde ein Investitionsbedarf von 1,5 Euro pro Einwohner:in und Jahr festgelegt. In Folge dessen ergibt sich ein Gesamtinvestitionsbedarf von 134 Millionen Euro bis zum Jahr 2030.

5. Förderungen für Private und Betriebe: Der gesamte Finanzierungsbedarf zur Förderung von Privaten und Betrieben wurde mit rund 88 Millionen Euro abgeschätzt. Dies beinhaltet einerseits Förderungen von Radabstellplätzen im privaten Wohnbau und andererseits Beratungsleistungen zum Mobilitätsmanagement für Betriebe.

6. Forschung: Im Bereich Forschung im Radverkehr liegt der Investitionsbedarf bis 2030 bei rund 45 Millionen Euro. Dieser Betrag beinhaltet die Erhöhung der Fördersummen für Forschungsprojekte zum Thema Radverkehr. Um den Radverkehr nachhaltig zu fördern und österreichweit zu verdoppeln wurde abgeschätzt, dass die derzeitig ausgeschüttete Förderhöhe dazu in etwa vervierfacht werden müsste. Bei diesem Wert wurden Forschungsprojekte im Zuge aller Förderschienen des BMK, des Klima und Energiefonds (Klien) sowie der Bundesländer berücksichtigt.

7. Bildung: Zur Abschätzung des Investitionsbedarfs zum Thema Aus- und Weiterbildung wurden der geplante Hochschul-Lehrstuhl Radverkehr sowie bundesweite Radfahrkurse bis zur 8. Schulstufe berücksichtigt. Bis zum Jahr 2030 errechnen sich dafür Gesamtkosten in Höhe von 96 Millionen Euro. Aktuell werden für bundesweite Radfahrkurse von der ersten bis zur vierten Klasse Volksschule rund 1,3 Millionen Euro pro Jahr ausgegeben. Die Gesamtkosten für dieses Programm bei jährlicher Erreichung aller Volksschulkinder wurden mit rund 4,5 Millionen Euro beziffert. Ziel hinsichtlich der Radfahrkurse in Schulen ist eine Ausweitung auch auf die Sekundarstufe. Dies würde zu einer Verdopplung der Kosten führen und damit einen Investitionsbedarf von neun Millionen Euro pro Jahr verursachen.

8. Personaleinsatz: Um die vorgeschlagenen Maßnahmen auch umsetzen zu können, benötigt es einen erhöhten Personaleinsatz. Dieser wurde über Analogien sowie über Rückmeldungen zum Personalbestand in den Ländern ermittelt. Daraus konnte ein Personalbedarf von 162 Personen mit Jahreskosten von 100.000€ pro Arbeitsplatz und daher ein entsprechender Investitionsbedarf von 162 Millionen Euro für zehn Jahre ermittelt werden.

Wienzeile Radweg

Laut den Studienautor:innen braucht es nun eine Diskussion zwischen allen relevanten Akteur:innen auf Gemeinde-, Bundes- und Länderebene, welche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, damit die notwendigen Maßnahmen finanziert und umgesetzt werden können. Die Ergebnisse der Studie liefern die notwendige Grundlage dafür. Eine vollständige Umsetzung des vorgesehenen Netzes erscheint in den meisten Bundesländern bis zum Jahr 2030 wenig realistisch. Selbst wenn die notwendigen finanziellen Mittel vorhanden wären, bedarf es einer substanziellen Ausweitung der personellen Ressourcen auf allen Ebenen, um den mit der Planung und Umsetzung sowie der Erhaltung der notwendigen Infrastruktur einhergehenden Aufwand abzudecken. Sollte dies nicht möglich sein, wird sich der Umsetzungshorizont deutlich verlängern: „Aus den Gesprächen mit Vertreter:innen der Länder konnte entnommen werden, dass eine Umsetzung der erarbeiteten Zielnetze bis zum Jahr 2040 möglich wäre“, so die Studie.

Drei Szenarien für den Ausbau der Radinfrastruktur im Ortsgebiet

Da im Innerortsbereich die Umsetzung von baulich getrennter Radinfrastruktur aufgrund von schmalen Straßenquerschnitten und geringer Flächenverfügbarkeit oftmals nicht möglich ist, wurde der Investitionsbedarf bei den lokalen Radverkehrsnetzen für drei unterschiedliche Szenarien berechnet. Auch die Führung des Radverkehrs im Mischverkehr verursacht Kosten zur Verkehrsberuhigung, Beschilderung und für Markierungsarbeiten.

  • Bei Szenario 1 wird der ermittelte Ausbaubedarf für baulich getrennte Infrastruktur zu 100 % auch als solche umgesetzt.
  • Bei Szenario 2 wird der ermittelte Ausbaubedarf zu 50 % über baulich getrennte Infrastruktur und zu 50 % über die Einführung einer Fahrradstraße oder ähnlichen Umgestaltungen des Straßenraums zur Förderung des Radverkehrs wie z.B. flächige farbige Gestaltung, bauliche Maßnahmen im geringen Umfang abdeckt. Um eine funktionierende Fahrradstraße anbieten zu können, sind gestalterische Maßnahmen notwendig, welche über eine Beschilderung und Markierung hinausgehen, die dadurch auch einen dementsprechenden Preis aufweisen.
  • Bei Szenario 3 wird der Ausbaubedarf zu 100 % mit der Maßnahme Fahrradstraße oder ähnlichen Umgestaltungen des Straßenraums abgedeckt.

Der gesamte Investitionsbedarf im Radfließverkehr wurde für Österreich, entsprechend den drei gewählten Szenarien, mit rund 4,85 Milliarden Euro bis 6,23 Milliarden Euro abgeschätzt, und ebenso für die einzelnen Länder berechnet. Der geringste Ausbaubedarf besteht im Burgenland im Szenario 3 mit rund 103 Millionen Euro, der höchste in Niederösterreich im Szenario 1 mit mehr als 1,6 Milliarden Euro. Den 298.000 Einwohner:innen des Burgenlandes im Jahr 2021 stehen im Vergleich 1.691.000 Niederösterreicher:innen gegenüber.

Bundesländer

Methodische Vorgangsweise zur Bedarfserhebung des ganzen Landes

Da nicht für alle Bundesländer umfassende Planungen für den zukünftigen Zustand der Radwegeinfrastruktur als Zielnetze vorlagen, wurde für die Berechnung des Investitionsbedarfs für Infrastruktur im Alltagsradverkehr auf regionaler und lokaler Ebene ein methodischer Ansatz entwickelt, der den Zielzustand des Radnetzes aus der Länge des bestehenden hochrangigen Straßennetzes ableitet. Dieser Zielzustand wurde mit der derzeit bestehenden Radinfrastruktur, welche den Daten der Graphen-Integrationsplattform (GIP) entnommen wurde, verglichen. Aus der Lücke zwischen Zielzustand und Bestandsinfrastruktur konnte der Investitionsbedarf abgeleitet werden. Dieser geht bisweilen weit über die bestehenden Planungen der Länder hinaus.

Die Abschätzung der Investitionen für den fließenden Radverkehr wurde für vier verschiedene Bereiche durchgeführt:

  1. Investitionen im Alltagsradverkehr – regionales Radnetz
  2. Investitionen im Alltagsradverkehr – lokales Radnetz
  3. Investitionen für Radschnellverbindungen
  4. Investitionen im Freizeitradverkehr

Dafür wurde ein Rechenmodell erstellt, mit dessen Hilfe der Ausbaubedarf für alle Bundesländer nach der gleichen Methodik abgeleitet werden konnte. Um dabei eine Doppelbewertung der zu eruierenden regionalen Radnetzlängen mit den noch eigens zu bestimmenden lokalen Radnetzen zu vermeiden, wurden die jeweiligen Siedlungskerne aus den Potenzialräumen herausgerechnet. Ebenso wurden etwaige Überschneidungsbereiche benachbarter Potenzialräume nur einfach berücksichtigt, wie hier die Darstellung des Raums um Neusiedl beispielhaft zeigt:

Zukunftsweisende Studie: 7 Milliarden Euro Investitionsbedarf für Radverkehr

Bedarfserhebung für lokale und regionale Radnetze

Bei der Bedarfserhebung für das regionales Radnetz ergab sich die Länge des länderspezifischen Ausbaubedarfs aus der Differenz der Länge des Straßennetzes und der Länge des relevanten Radnetzes. Der Ausbaubedarf für das Alltagsradnetz auf regionaler Ebene liegt in Österreich in Summe bei 7.737 km, wobei mehr als 40 % davon auf Niederösterreich entfallen. Ein weiterer hoher Ausbaubedarf mit jeweils rund 20 % liegt für Oberösterreich und die Steiermark vor. Der hohe Ausbaubedarf dieser drei Bundesländer ist den großen besiedelten Flächen und dem damit verbundenen langen Straßennetz geschuldet.

Der Investitionsbedarf für den Alltagsradverkehr auf regionaler Ebene wurde durch Hochrechnen des Ausbaubedarfs mit Kilometerkostensätzen ermittelt. Dabei wurde festgelegt, dass im Außerortsbereich 90 % des Radverkehrs auf baulich getrennter Infrastruktur und 10 % im Mischverkehr geführt werden soll. Der hohe Anteil an baulich getrennter Infrastruktur ist darauf zurückzuführen, dass außerhalb der dichter bebauten Gebiete der Radverkehr aufgrund der hohen Kfz-Geschwindigkeiten und Verkehrsstärken nur so sicher geführt werden kann. Dennoch ist nicht überall eine eigene Radinfrastruktur umsetzbar, weshalb beim Modell ein 10prozentiger Anteil für eine Führung im Mischverkehr berücksichtigt wurde. Dem liegt eine Regelbreite der Radinfrastruktur von zumindest 3,0 Metern zu Grunde.

Zukunftsweisende Studie: 7 Milliarden Euro Investitionsbedarf für Radverkehr

Die Investitionskosten wurden über kilometerbasierende Sätze abgeschätzt. Für einen Kilometer Fahrradstraße oder ähnlichen Umgestaltungen des Straßenraums wurde ein Satz von 80.000 Euro, für einen Kilometer Mischverkehr von 10.000 Euro österreichweit verwendet. Der Investitionsbedarf für das Alltagsradverkehrsnetz auf regionaler Ebene in Österreich beträgt nach dem gewählten Ansatz rund 3,67 Milliarden Euro. Ein Großteil dieser Investitionen entfällt auf die drei Flächenbundesländer Oberösterreich mit 951 Millionen Euro, Niederösterreich mit 917 Millionen Euro und die Steiermark mit 843 Millionen Euro.

Zukunftsweisende Studie: 7 Milliarden Euro Investitionsbedarf für Radverkehr

Alle weiteren Details finden Sie hier in der Studie:

Studie: PLANOPTIMO Büro Dr. Köll ZT-GmbH & Verracon GmbH, 28.04.2022, Download: Studie Investitionsbedarf Radverkehr 2022

Rendering Aufmacherbild: ZOOM VP, Beschriftung von Die Radvokaten

Foto: Christian Fürthner, Stadt Wien

Alle Abbildungen aus der Studie (Faksimile) bzw. von Die Radvokaten erstellt

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Eine im April 2022 präsentierte Studie der Radkompetenz-Mitglieder Planoptimo und Verracon hat im Auftrag des Bundesministeriums für Klimaschutz und aller neun Bundesländer analysiert, welche Maßnahmen und Investitionssummen nötig sind, damit in Österreich mehr Menschen mit dem Rad fahren und somit die Ziele des Masterplans Radfahren bis 2030 erreicht werden könnten. Rund sieben Milliarden Euro sind das Ergebnis, wenn man die höchste Qualitätsstufe heranzieht. In der fachlich höchst interessanten Studie stecken aber noch weitere erstmalig erhobene Erkenntnisse: wieviele Kilometer Radwege fehlen in Österreich? Und wie lässt sich das modellhaft errechnen?

Die Studie wurde in Kooperation von Bund und Ländern erstellt, um den notwendigen Investitionsbedarf für die Zielerreichung des Masterplans Radfahren für Gebietskörperschaften und darauf aufbauend den Budgetbedarf für das gesamte Maßnahmenpaket abzuschätzen. Die vorliegenden Ergebnisse sollen als Diskussionsgrundlage für die weiteren Umsetzungsschritte dienen. Ziel dieses Diskussionsprozesses sollte es ein, den Radverkehr durch ein umfassendes Investitionsprogramm mit dem Zielnetz der ÖBB und dem ASFINAG Ausbauprogramm vergleichbar zu machen und es so mit dem Schienen- und Straßenverkehr auf eine Stufe zu stellen.

Vergleich

Zielsetzungen von Bundesregierung und Ländern erfordern Investitionen

Neben dem Masterplan Radfahren, der eine Verdoppelung des Radverkehrsanteils auf 13% als Ziel festlegt, hat die österreichische Bundesregierung im Mai 2018 eine Klima- und Energiestrategie (#mission2030) verabschiedet. Die Strategie ist darauf ausgerichtet, die Nachhaltigkeitsziele bis 2030 in den Bereichen Treibhausgas-Reduktion, erneuerbare Energie und Energieeffizienz im Einklang mit den Zielen der Europäischen Union zu erreichen. Sie legt einen besonderen Fokus auf den Bereich Verkehr. Neben der übergeordneten Bundesstrategie haben sich auch alle neun Bundesländer zur Zielsetzung bekannt und zum Teil bereits Länderstrategien vorgelegt. Bereits im Jahr 2018 errechnete Radkompetenz Österreich (hier nachzulesen), wie hoch der Investitionsbedarf im Radverkehr sein muss, um eine signifikante Änderung des Modal Splits durch einen Mitteleinsatz von mindestens 30 Euro pro Kopf und Jahr durch die öffentliche Hand erreichen zu können. Die darin errechneten drei Milliarden Euro für den Zeitraum 2020 bis 2030 dienten als Anregung für die nun vorliegende fundierte Studie, die wir hier zuerst im Überblick und dann im Detail vorstellen.

Zusammenfassung: acht Bestandteile des Investitionspakets

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie ergeben einen Gesamtinvestitionsbedarf zur deutlichen Steigerung des österreichweiten Radverkehrsanteils zwischen 5,57 Milliarden Euro und 6,95 Milliarden Euro. Die Unterschiede zwischen den Szenarien 1, 2 und 3 ergeben sich aus dem Anteil von baulich getrennten Radwegen an der angepeilten Radinfrastruktur: Das bestmögliche Szenario 1 ergibt dadurch Kosten von 6,95 Milliarden Euro.

1. Infrastruktur für den Fließverkehr: Den größten Brocken der Gesamtsumme macht folgerichtig die Infrastruktur für den Alltagsradverkehr aus: Für den Netzausbau auf der regionalen und lokalen Ebene sind je nach Infrastrukturqualität im dichter bebauten Gebiet zwischen 4,0 und 5,4 Milliarden Euro notwendig. Dazu kommen der Ausbaubedarf für Radschnellverbindungen mit 600 Millionen Euro und die Lückenschlüsse in den Freizeitradwegenetzen mit 240 Millionen Euro.

2. Infrastruktur für den ruhenden Verkehr: Als zweiter Posten sind 144 Millionen Euro für die Errichtung von Radabstellanlagen an Bahnhöfen, Bus- und Straßenbahnhaltestellen sowie im öffentlichen Raum  notwendig. Um die Fahrradmitnahme in den Zügen der ÖBB zu verbessern, wurden Investitionen im Ausmaß von 22 Millionen Euro seitens Vertreter:innen der ÖBB kommuniziert. Diese umfassen sowohl die Umbaukosten für die Neugestaltung der Fahrradabteile in 52 Railjet-Garnituren inklusive Fahrradhebeliften als auch die Kosten zur Ausstattung von 100 Cityjets mit hybriden Wagenlösungen zur flexiblen Abdeckung der Nachfrage im Personen- und Fahrradtransport.

3. Radverleihsysteme: Der Investitionsbedarf dieses Bereichs  setzt sich aus Kosten für die Einführung neuer Systeme, falls solche bereits vorgesehen sind, und für den Ausbau bestehender Systeme oder für die Erneuerung der Flotte bis 2030 zusammen. Dabei wurden nur durch die öffentliche Hand gestützte Systeme im Alltagsverkehr und keine im Tourismusverkehr berücksichtigt. Die Kosten für ganz Österreich betragen laut Auskunft der Länder und Städte in Summe rund 33 Millionen Euro bis zum Jahr 2030, wovon der größte Anteil mit 27,6 Millionen Euro dem neuen Citybike Wien System „WienMobil Rad“ zugeschrieben wird. Wien stellt soeben sein Leihradsystem mit Nextbike auf neue Beine und investiert laut Auskunft der Wiener Linien bis 2030 diesen Betrag in die Errichtung von rund 200 Stationen mit gesamt 3.000 Leihrädern inklusive Servicierung, Wartung, Verteilung der Räder und Kundenmanagement.

4. Kommunikation: Für diesen Bereich mit Veranstaltungen, Kampagnen, Imagebildung wurde ein Investitionsbedarf von 1,5 Euro pro Einwohner:in und Jahr festgelegt. In Folge dessen ergibt sich ein Gesamtinvestitionsbedarf von 134 Millionen Euro bis zum Jahr 2030.

5. Förderungen für Private und Betriebe: Der gesamte Finanzierungsbedarf zur Förderung von Privaten und Betrieben wurde mit rund 88 Millionen Euro abgeschätzt. Dies beinhaltet einerseits Förderungen von Radabstellplätzen im privaten Wohnbau und andererseits Beratungsleistungen zum Mobilitätsmanagement für Betriebe.

6. Forschung: Im Bereich Forschung im Radverkehr liegt der Investitionsbedarf bis 2030 bei rund 45 Millionen Euro. Dieser Betrag beinhaltet die Erhöhung der Fördersummen für Forschungsprojekte zum Thema Radverkehr. Um den Radverkehr nachhaltig zu fördern und österreichweit zu verdoppeln wurde abgeschätzt, dass die derzeitig ausgeschüttete Förderhöhe dazu in etwa vervierfacht werden müsste. Bei diesem Wert wurden Forschungsprojekte im Zuge aller Förderschienen des BMK, des Klima und Energiefonds (Klien) sowie der Bundesländer berücksichtigt.

7. Bildung: Zur Abschätzung des Investitionsbedarfs zum Thema Aus- und Weiterbildung wurden der geplante Hochschul-Lehrstuhl Radverkehr sowie bundesweite Radfahrkurse bis zur 8. Schulstufe berücksichtigt. Bis zum Jahr 2030 errechnen sich dafür Gesamtkosten in Höhe von 96 Millionen Euro. Aktuell werden für bundesweite Radfahrkurse von der ersten bis zur vierten Klasse Volksschule rund 1,3 Millionen Euro pro Jahr ausgegeben. Die Gesamtkosten für dieses Programm bei jährlicher Erreichung aller Volksschulkinder wurden mit rund 4,5 Millionen Euro beziffert. Ziel hinsichtlich der Radfahrkurse in Schulen ist eine Ausweitung auch auf die Sekundarstufe. Dies würde zu einer Verdopplung der Kosten führen und damit einen Investitionsbedarf von neun Millionen Euro pro Jahr verursachen.

8. Personaleinsatz: Um die vorgeschlagenen Maßnahmen auch umsetzen zu können, benötigt es einen erhöhten Personaleinsatz. Dieser wurde über Analogien sowie über Rückmeldungen zum Personalbestand in den Ländern ermittelt. Daraus konnte ein Personalbedarf von 162 Personen mit Jahreskosten von 100.000€ pro Arbeitsplatz und daher ein entsprechender Investitionsbedarf von 162 Millionen Euro für zehn Jahre ermittelt werden.

Wienzeile Radweg

Laut den Studienautor:innen braucht es nun eine Diskussion zwischen allen relevanten Akteur:innen auf Gemeinde-, Bundes- und Länderebene, welche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, damit die notwendigen Maßnahmen finanziert und umgesetzt werden können. Die Ergebnisse der Studie liefern die notwendige Grundlage dafür. Eine vollständige Umsetzung des vorgesehenen Netzes erscheint in den meisten Bundesländern bis zum Jahr 2030 wenig realistisch. Selbst wenn die notwendigen finanziellen Mittel vorhanden wären, bedarf es einer substanziellen Ausweitung der personellen Ressourcen auf allen Ebenen, um den mit der Planung und Umsetzung sowie der Erhaltung der notwendigen Infrastruktur einhergehenden Aufwand abzudecken. Sollte dies nicht möglich sein, wird sich der Umsetzungshorizont deutlich verlängern: „Aus den Gesprächen mit Vertreter:innen der Länder konnte entnommen werden, dass eine Umsetzung der erarbeiteten Zielnetze bis zum Jahr 2040 möglich wäre“, so die Studie.

Drei Szenarien für den Ausbau der Radinfrastruktur im Ortsgebiet

Da im Innerortsbereich die Umsetzung von baulich getrennter Radinfrastruktur aufgrund von schmalen Straßenquerschnitten und geringer Flächenverfügbarkeit oftmals nicht möglich ist, wurde der Investitionsbedarf bei den lokalen Radverkehrsnetzen für drei unterschiedliche Szenarien berechnet. Auch die Führung des Radverkehrs im Mischverkehr verursacht Kosten zur Verkehrsberuhigung, Beschilderung und für Markierungsarbeiten.

  • Bei Szenario 1 wird der ermittelte Ausbaubedarf für baulich getrennte Infrastruktur zu 100 % auch als solche umgesetzt.
  • Bei Szenario 2 wird der ermittelte Ausbaubedarf zu 50 % über baulich getrennte Infrastruktur und zu 50 % über die Einführung einer Fahrradstraße oder ähnlichen Umgestaltungen des Straßenraums zur Förderung des Radverkehrs wie z.B. flächige farbige Gestaltung, bauliche Maßnahmen im geringen Umfang abdeckt. Um eine funktionierende Fahrradstraße anbieten zu können, sind gestalterische Maßnahmen notwendig, welche über eine Beschilderung und Markierung hinausgehen, die dadurch auch einen dementsprechenden Preis aufweisen.
  • Bei Szenario 3 wird der Ausbaubedarf zu 100 % mit der Maßnahme Fahrradstraße oder ähnlichen Umgestaltungen des Straßenraums abgedeckt.

Der gesamte Investitionsbedarf im Radfließverkehr wurde für Österreich, entsprechend den drei gewählten Szenarien, mit rund 4,85 Milliarden Euro bis 6,23 Milliarden Euro abgeschätzt, und ebenso für die einzelnen Länder berechnet. Der geringste Ausbaubedarf besteht im Burgenland im Szenario 3 mit rund 103 Millionen Euro, der höchste in Niederösterreich im Szenario 1 mit mehr als 1,6 Milliarden Euro. Den 298.000 Einwohner:innen des Burgenlandes im Jahr 2021 stehen im Vergleich 1.691.000 Niederösterreicher:innen gegenüber.

Bundesländer

Methodische Vorgangsweise zur Bedarfserhebung des ganzen Landes

Da nicht für alle Bundesländer umfassende Planungen für den zukünftigen Zustand der Radwegeinfrastruktur als Zielnetze vorlagen, wurde für die Berechnung des Investitionsbedarfs für Infrastruktur im Alltagsradverkehr auf regionaler und lokaler Ebene ein methodischer Ansatz entwickelt, der den Zielzustand des Radnetzes aus der Länge des bestehenden hochrangigen Straßennetzes ableitet. Dieser Zielzustand wurde mit der derzeit bestehenden Radinfrastruktur, welche den Daten der Graphen-Integrationsplattform (GIP) entnommen wurde, verglichen. Aus der Lücke zwischen Zielzustand und Bestandsinfrastruktur konnte der Investitionsbedarf abgeleitet werden. Dieser geht bisweilen weit über die bestehenden Planungen der Länder hinaus.

Die Abschätzung der Investitionen für den fließenden Radverkehr wurde für vier verschiedene Bereiche durchgeführt:

  1. Investitionen im Alltagsradverkehr – regionales Radnetz
  2. Investitionen im Alltagsradverkehr – lokales Radnetz
  3. Investitionen für Radschnellverbindungen
  4. Investitionen im Freizeitradverkehr

Dafür wurde ein Rechenmodell erstellt, mit dessen Hilfe der Ausbaubedarf für alle Bundesländer nach der gleichen Methodik abgeleitet werden konnte. Um dabei eine Doppelbewertung der zu eruierenden regionalen Radnetzlängen mit den noch eigens zu bestimmenden lokalen Radnetzen zu vermeiden, wurden die jeweiligen Siedlungskerne aus den Potenzialräumen herausgerechnet. Ebenso wurden etwaige Überschneidungsbereiche benachbarter Potenzialräume nur einfach berücksichtigt, wie hier die Darstellung des Raums um Neusiedl beispielhaft zeigt:

Zukunftsweisende Studie: 7 Milliarden Euro Investitionsbedarf für Radverkehr

Bedarfserhebung für lokale und regionale Radnetze

Bei der Bedarfserhebung für das regionales Radnetz ergab sich die Länge des länderspezifischen Ausbaubedarfs aus der Differenz der Länge des Straßennetzes und der Länge des relevanten Radnetzes. Der Ausbaubedarf für das Alltagsradnetz auf regionaler Ebene liegt in Österreich in Summe bei 7.737 km, wobei mehr als 40 % davon auf Niederösterreich entfallen. Ein weiterer hoher Ausbaubedarf mit jeweils rund 20 % liegt für Oberösterreich und die Steiermark vor. Der hohe Ausbaubedarf dieser drei Bundesländer ist den großen besiedelten Flächen und dem damit verbundenen langen Straßennetz geschuldet.

Der Investitionsbedarf für den Alltagsradverkehr auf regionaler Ebene wurde durch Hochrechnen des Ausbaubedarfs mit Kilometerkostensätzen ermittelt. Dabei wurde festgelegt, dass im Außerortsbereich 90 % des Radverkehrs auf baulich getrennter Infrastruktur und 10 % im Mischverkehr geführt werden soll. Der hohe Anteil an baulich getrennter Infrastruktur ist darauf zurückzuführen, dass außerhalb der dichter bebauten Gebiete der Radverkehr aufgrund der hohen Kfz-Geschwindigkeiten und Verkehrsstärken nur so sicher geführt werden kann. Dennoch ist nicht überall eine eigene Radinfrastruktur umsetzbar, weshalb beim Modell ein 10prozentiger Anteil für eine Führung im Mischverkehr berücksichtigt wurde. Dem liegt eine Regelbreite der Radinfrastruktur von zumindest 3,0 Metern zu Grunde.

Zukunftsweisende Studie: 7 Milliarden Euro Investitionsbedarf für Radverkehr

Die Investitionskosten wurden über kilometerbasierende Sätze abgeschätzt. Für einen Kilometer Fahrradstraße oder ähnlichen Umgestaltungen des Straßenraums wurde ein Satz von 80.000 Euro, für einen Kilometer Mischverkehr von 10.000 Euro österreichweit verwendet. Der Investitionsbedarf für das Alltagsradverkehrsnetz auf regionaler Ebene in Österreich beträgt nach dem gewählten Ansatz rund 3,67 Milliarden Euro. Ein Großteil dieser Investitionen entfällt auf die drei Flächenbundesländer Oberösterreich mit 951 Millionen Euro, Niederösterreich mit 917 Millionen Euro und die Steiermark mit 843 Millionen Euro.

Zukunftsweisende Studie: 7 Milliarden Euro Investitionsbedarf für Radverkehr

Alle weiteren Details finden Sie hier in der Studie:

Studie: PLANOPTIMO Büro Dr. Köll ZT-GmbH & Verracon GmbH, 28.04.2022, Download: Studie Investitionsbedarf Radverkehr 2022

Rendering Aufmacherbild: ZOOM VP, Beschriftung von Die Radvokaten

Foto: Christian Fürthner, Stadt Wien

Alle Abbildungen aus der Studie (Faksimile) bzw. von Die Radvokaten erstellt

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