Europäische Rundschau: EU Cycling Declaration und Studienergebnisse von Paris bis London
Am 3. April 2024 wurde die “European Declaration on Cycling” bei einem Treffen der EU Verkehrsminister:innen, des Europäischen Rates, der Kommission und des Parlaments formell unterzeichnet. Dieser Meilenstein des übernationalen Bekenntnisses zum Fahrrad als vollwertigem Verkehrsmittel und zu zentralen Punkten der Radverkehrsverbesserung ist ein Zeichen, dass die wichtigen Hebel der Radverkehrsförderung anerkannt werden. In 36 Punkten verpflichten sich die unterzeichnenden Staaten zu konkretem Handeln.
Ausgehend von einem Vorstoß des früheren Vizepräsidenten der EU-Kommission Frans Timmermans im Jahr 2023 hat der Verkehrsausschuss des EU Parlaments Anfang 2024 für die „European Declaration on Cycling“ gestimmt. Die Erklärung solle einen Beitrag zum Erreichen des EU-weiten Ziels der Treibhausgasreduktion von 55% im Jahr 2030 und der Klimaneutralität 2050 laut EU Klimagesetz leisten.
Bekenntnisse zu Infrastruktur, Budget und Sicherheit
Schon in den acht Präambeln der Erklärung werden Knackpunkte der Radverkehrspolitik adressiert. So wird bessere Radinfrastruktur in Stadt und Land als Motivationsmittel benannt, das ausreichende finanzielle Mittel benötigt. Das Fehlen von konsistenten Daten zum Radverkehr wird als Mangel erkannt. Die 36 konkreten Bekenntnisse umfassen die nötige Stärkung von Radverkehrspolitik und Strategien auf allen Ebenen der Verwaltung; rasche Umsetzung dieser Strategien; sichere und zusammenhängende Radinfrastruktur; Entwicklung von qualitativen EU Standards zur Sicherheit von vulnerablen Verkehrsteilnehmer:innen; mehr Platz für Radverkehr durch getrennte Radinfrastruktur oder Temporeduktion im Mischverkehr. Die gesamte Erklärung finden Sie hier zum download.
Jill Warren, CEO des Europäischen Fahrradverbandes ECF und zweite von rechts im Bild, schätzte die Bedeutung der Erklärung sehr hoch ein: „Die Erklärung hat das Potential, einen großen Nutzen für Millionen von Eurpäer:innen zu entfalten.“ Der ECF ist der europäische Verband der nationalen Interessensvertretungen für besseren Radverkehr wie z.B. Radkompetenz-Mitglied Radlobby Österreich.
„Mobility Transition Pathway“ als Umgestaltungsprogramm der EU-Mobilitätswirtschaft
Am 29. Februar 2024 hat die Umsetzung des “Mobility Transition Pathway”, einem Programm zur nachhaltigen Umgestaltung der europäischen Mobilitätswirtschaft, mit einer Auftaktveranstaltung in Brüssel begonnen. Das Programm wird in Kooperation mit Mitgliedstaaten, Industrie und anderen relevanten Stakeholdern entwicklet. Durch die Einbindung der Fahrradwirtschaft in das Programm unterstreicht die EU-Kommission das Transformationspotenzial und die Bedeutung dieser Branche als Teil des Green Deal: „The mobility ecosystem comprises the entire value chain of the automotive, waterborne, rail and bike industries.“ setzt die Fahrradindustrie auf Augenhöhe mit Schiene, Luft und Straße.
Der Maßnahmenplan fördert den Ausbau der Fahrradproduktion und Investitionen in die Fahrradinfrastruktur. Ebenso unterstützt es Angebote für Bikesharing, Abomoedelle und Leasing, und enthält Maßnahmen für einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für Fahrräder sowie Kaufprämien für Transporträder in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Wer sich die einzelnen Maßnahmen genauer ansehen möchte, findet hier das offizielle Dokument zum „Mobility Transition Pathway“.
Eine aktuelle Rundschau europäischer Studienergebnisse, Gesetze und Handbücher zeigt die konkrete Relevanz der auf EU-Ebene abstrakt verabschiedeten Weichenstellungen. Dabei sind Beispiele aus EU-Staaten wie Frankreich und Irland, aber auch aus Staaten außerhalb der Union von Interesse:
London: Mini-Holland Projekte rentieren sich zehnfach
Eine neue Studie im Journal of Transport & Health zeigt den hohen Mehrwert der Investitionen in die Radinfrastruktur im Rahmen der „Mini-Holland“-Projekte in London. Dabei wurden drei Stadtteile in London ausgewählt, die finanzielle Unterstützung hielten um aktive Mobilität am Vorbild der Niederlande zu implementieren. Ergebnisse der Studie zeigen nun, dass sich diese anfänglichen Investitionen von £100 Millionen zehnfach rentiert haben. Das äußert sich in den ersparten Kosten im Gesundheitssektor in der Höhe von £1,056 Milliarden. Besonders in verkehrsberuhigten Nachbarschaften zahlte sich die Investition aus, dort war dieser Effekt noch 4-mal höher.
Die Ergebnisse bekräftigen den Nutzen von Maßnahmen zur Förderung aktiver Mobilität und stellen eine starke Begründung für höhere Investitionen in entsprechende Infrastrukturen dar.
Paris: Mehr Fahrräder als Autos auf Pariser Hauptstraßen
Paris hat es in den letzten fünf Jahren geschafft, die Bedingungen für Radfahrende großflächig zu verbessern. Der für Mobilität und öffentlichen Raum zuständige Pariser Vizebürgermeister David Belliard äußert sich dazu folgendermaßen: „In der Mobilität geht es mehr als anderswo um Angebot und nicht um Nachfrage“, deshalb habe Paris „das Angebot an Radinfrastruktur massiv verstärkt“. Damit folgt die Stadt dem Prinzip des induzierten Verkehrs: wenn mehr Infrastruktur geschaffen oder verbessert wird, folgt darauf mehr Verkehrsaufkommen.
Durch eine mit Sensoren durchgeführte Studie in der Stadt konnte gezeigt werden, dass während der Hauptverkehrszeiten auf einigen Hauptstraßen mehr Räder als Autos unterwegs waren. Trotzdem blieb der Verkehr auf den Radwegen flüssiger als auf den Autostraßen, was mit dem geringeren Platzverbrauch von Fahrrädern zu tun haben dürfte.
Schweiz: Veloweggestz verpflichtet zu verbesserter Radinfrastruktur
Das Veloweggesetz der Schweiz ist seit 2023 in Kraft und verpflichtet Bund und Kantone dazu, das Fahrrad als Verkehrsmittel stärker miteinzubeziehen. Die Pläne dazu müssen innerhalb der nächsten vier Jahre von den Kantonen und Gemeinden verbindlich festgelegt sein. Durch die „ Praxishilfe Velowegnetzplanung“ werden sie dabei fachlich und organisatorisch unterstützt – bis 2042 müssen die Maßnahmen in die Praxis umgesetzt sein.
Irland: Neues Planungshandbuch veröffentlicht
In Irland hat die National Transport Authority ein neues Handbuch zur Radverkehrsplanung veröffentlicht. Das aktualisierte Cycle Design Manual basiert auf den Erfahrungen aus dem letzten Jahrzehnt beim Bau von Fahrradinfrastrukturen sowie auf internationalen Best Practices.
Es wird besonderer Wert auf die verschiedenen Arten von Fahrrädern und deren Anforderungen an die Infrastruktur gelegt. Ziel des Handbuches ist es, Radfahren für alle sicher zu ermöglichen. Deshalb empfiehlt es auch, Radfahrer:innen vom restlichen Verkehr zu trennen, wo Geschwindigkeiten und Verkehrsaufkommen eine gemeinsame Nutzung der Straßen unsicher machen. Wenn möglich wird auch die Trennung von Fuß- und Radverkehr empfohlen.
Mehr von den Radkompetenz-Mitgliedern in diesem Artikel:
Verwandte Themen:
- Das war die Velo-city Konferenz 2024 in Gent
- Mitglieder-News mit besserer Radmitnahme und Gewinnspiel
- Forschungsgespräch zu Radverkehr und Mobilitätswende in Salzburg
- Die österreichische Fahrradverordnung im internationalen Vergleich
- Debatte rund um E-Mopeds, Radwege und geeignete Infrastruktur
- Nächstes Radkompetenz-Webinar am 15. Oktober
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Am 3. April 2024 wurde die “European Declaration on Cycling” bei einem Treffen der EU Verkehrsminister:innen, des Europäischen Rates, der Kommission und des Parlaments formell unterzeichnet. Dieser Meilenstein des übernationalen Bekenntnisses zum Fahrrad als vollwertigem Verkehrsmittel und zu zentralen Punkten der Radverkehrsverbesserung ist ein Zeichen, dass die wichtigen Hebel der Radverkehrsförderung anerkannt werden. In 36 Punkten verpflichten sich die unterzeichnenden Staaten zu konkretem Handeln.
Ausgehend von einem Vorstoß des früheren Vizepräsidenten der EU-Kommission Frans Timmermans im Jahr 2023 hat der Verkehrsausschuss des EU Parlaments Anfang 2024 für die „European Declaration on Cycling“ gestimmt. Die Erklärung solle einen Beitrag zum Erreichen des EU-weiten Ziels der Treibhausgasreduktion von 55% im Jahr 2030 und der Klimaneutralität 2050 laut EU Klimagesetz leisten.
Bekenntnisse zu Infrastruktur, Budget und Sicherheit
Schon in den acht Präambeln der Erklärung werden Knackpunkte der Radverkehrspolitik adressiert. So wird bessere Radinfrastruktur in Stadt und Land als Motivationsmittel benannt, das ausreichende finanzielle Mittel benötigt. Das Fehlen von konsistenten Daten zum Radverkehr wird als Mangel erkannt. Die 36 konkreten Bekenntnisse umfassen die nötige Stärkung von Radverkehrspolitik und Strategien auf allen Ebenen der Verwaltung; rasche Umsetzung dieser Strategien; sichere und zusammenhängende Radinfrastruktur; Entwicklung von qualitativen EU Standards zur Sicherheit von vulnerablen Verkehrsteilnehmer:innen; mehr Platz für Radverkehr durch getrennte Radinfrastruktur oder Temporeduktion im Mischverkehr. Die gesamte Erklärung finden Sie hier zum download.
Jill Warren, CEO des Europäischen Fahrradverbandes ECF und zweite von rechts im Bild, schätzte die Bedeutung der Erklärung sehr hoch ein: „Die Erklärung hat das Potential, einen großen Nutzen für Millionen von Eurpäer:innen zu entfalten.“ Der ECF ist der europäische Verband der nationalen Interessensvertretungen für besseren Radverkehr wie z.B. Radkompetenz-Mitglied Radlobby Österreich.
„Mobility Transition Pathway“ als Umgestaltungsprogramm der EU-Mobilitätswirtschaft
Am 29. Februar 2024 hat die Umsetzung des “Mobility Transition Pathway”, einem Programm zur nachhaltigen Umgestaltung der europäischen Mobilitätswirtschaft, mit einer Auftaktveranstaltung in Brüssel begonnen. Das Programm wird in Kooperation mit Mitgliedstaaten, Industrie und anderen relevanten Stakeholdern entwicklet. Durch die Einbindung der Fahrradwirtschaft in das Programm unterstreicht die EU-Kommission das Transformationspotenzial und die Bedeutung dieser Branche als Teil des Green Deal: „The mobility ecosystem comprises the entire value chain of the automotive, waterborne, rail and bike industries.“ setzt die Fahrradindustrie auf Augenhöhe mit Schiene, Luft und Straße.
Der Maßnahmenplan fördert den Ausbau der Fahrradproduktion und Investitionen in die Fahrradinfrastruktur. Ebenso unterstützt es Angebote für Bikesharing, Abomoedelle und Leasing, und enthält Maßnahmen für einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für Fahrräder sowie Kaufprämien für Transporträder in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Wer sich die einzelnen Maßnahmen genauer ansehen möchte, findet hier das offizielle Dokument zum „Mobility Transition Pathway“.
Eine aktuelle Rundschau europäischer Studienergebnisse, Gesetze und Handbücher zeigt die konkrete Relevanz der auf EU-Ebene abstrakt verabschiedeten Weichenstellungen. Dabei sind Beispiele aus EU-Staaten wie Frankreich und Irland, aber auch aus Staaten außerhalb der Union von Interesse:
London: Mini-Holland Projekte rentieren sich zehnfach
Eine neue Studie im Journal of Transport & Health zeigt den hohen Mehrwert der Investitionen in die Radinfrastruktur im Rahmen der „Mini-Holland“-Projekte in London. Dabei wurden drei Stadtteile in London ausgewählt, die finanzielle Unterstützung hielten um aktive Mobilität am Vorbild der Niederlande zu implementieren. Ergebnisse der Studie zeigen nun, dass sich diese anfänglichen Investitionen von £100 Millionen zehnfach rentiert haben. Das äußert sich in den ersparten Kosten im Gesundheitssektor in der Höhe von £1,056 Milliarden. Besonders in verkehrsberuhigten Nachbarschaften zahlte sich die Investition aus, dort war dieser Effekt noch 4-mal höher.
Die Ergebnisse bekräftigen den Nutzen von Maßnahmen zur Förderung aktiver Mobilität und stellen eine starke Begründung für höhere Investitionen in entsprechende Infrastrukturen dar.
Paris: Mehr Fahrräder als Autos auf Pariser Hauptstraßen
Paris hat es in den letzten fünf Jahren geschafft, die Bedingungen für Radfahrende großflächig zu verbessern. Der für Mobilität und öffentlichen Raum zuständige Pariser Vizebürgermeister David Belliard äußert sich dazu folgendermaßen: „In der Mobilität geht es mehr als anderswo um Angebot und nicht um Nachfrage“, deshalb habe Paris „das Angebot an Radinfrastruktur massiv verstärkt“. Damit folgt die Stadt dem Prinzip des induzierten Verkehrs: wenn mehr Infrastruktur geschaffen oder verbessert wird, folgt darauf mehr Verkehrsaufkommen.
Durch eine mit Sensoren durchgeführte Studie in der Stadt konnte gezeigt werden, dass während der Hauptverkehrszeiten auf einigen Hauptstraßen mehr Räder als Autos unterwegs waren. Trotzdem blieb der Verkehr auf den Radwegen flüssiger als auf den Autostraßen, was mit dem geringeren Platzverbrauch von Fahrrädern zu tun haben dürfte.
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Das Veloweggesetz der Schweiz ist seit 2023 in Kraft und verpflichtet Bund und Kantone dazu, das Fahrrad als Verkehrsmittel stärker miteinzubeziehen. Die Pläne dazu müssen innerhalb der nächsten vier Jahre von den Kantonen und Gemeinden verbindlich festgelegt sein. Durch die „ Praxishilfe Velowegnetzplanung“ werden sie dabei fachlich und organisatorisch unterstützt – bis 2042 müssen die Maßnahmen in die Praxis umgesetzt sein.
Irland: Neues Planungshandbuch veröffentlicht
In Irland hat die National Transport Authority ein neues Handbuch zur Radverkehrsplanung veröffentlicht. Das aktualisierte Cycle Design Manual basiert auf den Erfahrungen aus dem letzten Jahrzehnt beim Bau von Fahrradinfrastrukturen sowie auf internationalen Best Practices.
Es wird besonderer Wert auf die verschiedenen Arten von Fahrrädern und deren Anforderungen an die Infrastruktur gelegt. Ziel des Handbuches ist es, Radfahren für alle sicher zu ermöglichen. Deshalb empfiehlt es auch, Radfahrer:innen vom restlichen Verkehr zu trennen, wo Geschwindigkeiten und Verkehrsaufkommen eine gemeinsame Nutzung der Straßen unsicher machen. Wenn möglich wird auch die Trennung von Fuß- und Radverkehr empfohlen.
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