Evaluation der ersten Fahrradzone in Österreich
In der steirischen Gemeinde Fernitz-Mellach findet ein Experiment statt. Hier wird für 12 Monate die erste Fahrradzone Österreichs ausprobiert und umfassend evaluiert. Der Unterschied zur deutschen Regelung, wo Fahrradzonen bereits seit 2020 verankert sind: In Österreich existiert der Begriff rechtlich noch nicht. Der Pilotversuch wird von Radkompetenz-Mitglied verkehrplus geplant und begleitet, wir bringen erste Ergebnisse der Evaluation. Funktionalität und Wirkung einer Fahrradzone sollen auf einem rund drei Kilometer langen Straßennetz ergründet werden, Verordnungstafeln und Bodenmarkierungen weisen an den Einfahrten in die Fahrradzone alle Verkehrsteilnehmer:innen auf die neuen Verhaltensregeln hin.
Was ist eine Fahrradzone?
Eine Fahrradzone ist ein Netz aus zusammenhängenden Fahrradstraßen. Sie stellt eine Weiterentwicklung der Tempo-30 Zone aus den 1990ern dar. Der Unterschied: Kfz-Lenker:innen dürfen den Radverkehr nicht behindern. Radfahrende dürfen nebeneinander fahren und wenn erforderlich, muss der Kfz-Verkehr seine Geschwindigkeit anpassen. Fahrradzonen sind bereits seit 2020 im deutschen Straßenverkehrsrecht als Verordnungsinstrument verankert. Zur Attraktivierung des Radfahrens entstand in Bremen die erste Fahrradzone Deutschlands, in der das Fahrrad im ganzen Quartier Vorrang hat.
Die Alte Neustadt in Bremen wurde zur ersten Fahrradzone Deutschlands erklärt, dabei wurde ein Netz aus Fahrradstraßen gesponnen wie in Fernitz. Die Zone umfasste rund 2,5 Straßenkilometer auf zwölf Straßen.
Warum Fahrradzone?
Nach der österreichischen StVO-Novelle vom Oktober 2022 ist es laut § 68 für Radfahrende erlaubt, „sofern niemand gefährdet wird, das Verkehrsaufkommen es zulässt und andere Verkehrsteilnehmer nicht am Überholen gehindert werden“, in Straßen mit Tempo 30 nebeneinander zu fahren, ausgenommen sind u.a. Vorrangstraßen. Warum es noch die Fahrradzone braucht, erklärt verkehrplus folgendermaßen: Der Unterschied liegt in der Wahrnehmung, im Blickwinkel, in der Wertschätzung. Während in der Tempo-30-Straße das Nebeneinanderfahren von Radfahrenden gebilligt, gewährt und erlaubt ist, ist es in der Fahrradzone erwünscht, geboten und „normal“. Radfahren wird zum System, nicht zur Ausnahme! Das Fahrrad wird zum Maßstab – sein Tempo bestimmt, mit welcher Geschwindigkeit Kfz dem Fahrrad folgen. Ohne „Druck von hinten“ nebeneinander radeln und ohne Sorge vor knappen Überholmanövern.
Die Fahrradzone hebt den Stellenwert von Radfahrenden als vollwertige Verkehrsteilnehmer:innen auf Augenhöhe mit den Kfz-Nutzer:innen. Die „schwächeren“ Verkehrsteilnehmer:innen werden dadurch „gestärkt“. Die Fahrradzone transformiert das bestehende Nebenstraßennetz zu einem attraktiven, flächendeckenden und komfortablen Radverkehrsnetz, das vor der Haustüre beginnt. Und so ganz nebenbei verbietet sie ortsfremden Kfz-Durchzug.
Umgesetzt wurde die Fahrradzone StVO-konform, indem mehrere Straßen und Straßenabschnitte als aneinanderhängende Fahrradstraßen verordnet wurden, versehen mit der Zusatztafel „Zone“. Diese Vorgangsweise wurde juristisch geprüft, ein Rechtsgutachten für die Verordnung als Fahrradstraße mit der zusätzlichen Information „Zone“ als Zusatztafel besteht. Die Verordnungsprüfung des Landes Steiermark läuft.
Evaluationsergebnisse: Experiment gelungen?
Die blaue Farbe an den Zufahrten der Fahrradzone war noch nicht trocken, da läuteten bereits Telefone in der Gemeinde. Einige Anwohner:innen missverstanden die neue Verordnung. Gerüchte wie: „Wir dürfen mit dem Auto nicht mehr zu unseren eigenen Häusern fahren!“ und „Jetzt haben die Radlfahrer überall Vorrang!“ machten die Runde. Weitere Aufklärung war erforderlich. Die Gemeinde erhöhte die Kommunikation weiter mit zusätzlichen Info-Plakaten und Veranstaltungen. Der zuständige Vizebürgermeister und die verantwortlichen Planer:innen standen Rede und Antwort. Schnell stellte sich heraus: die Fahrradzone selbst ist kein Problem, liefert jedoch eine ideale Plattform, um über den Verkehr vor der eigenen Haustüre zu diskutieren.
Befragungsergebnis Nr. 1 aus der Online-Befragung zur Evaluierung der Fahrradzone in der Gemeinde Fernitz-Mellach zeigt bei 335 Antworten sehr hohe Zustimmung: 88 Prozent der Befragten erwarten sich eine Verbesserung der Verkehrssituation durch die Einführung der Fahrradzone. (verkehrplus, 2024)
Befragungsergebnis Nr. 2 aus der Straßenbefragung zur Evaluierung der Fahrradzone zeigt ein sehr hohes Sicherheitsgefühl in der Fahrradzone. Nur 6% würden keine Kinder in der Fahrradzone radeln lassen. (verkehrplus, 2024)
Befragungsergebnis Nr. 3 aus der Straßenbefragung zeigt 24% positiver Meinung gegenüber 7% negativer Meinung. (verkehrplus, 2024)
Die bereits verfügbaren Ergebnisse der Evaluierung zeigen also , dass die Fahrradzone von den meisten Befragten begrüßt wird und hohes Sicherheitsgefühl vermittelt. Die seit Jahren latenten Probleme, welche die Menschen ansprechen, wie hohe Geschwindigkeiten, fehlende Rücksichtnahme oder uneinsichtige Kreuzungen, hängen nicht mit der Fahrradzone zusammen und bestünden auch ohne Fahrradzone. Im Gegenteil, so manches Problem verkleinert sich sogar durch die Fahrradzone.
Experiment gelungen!
Der Sinn eines Experimentes ist es, Zusammenhänge oder Prozesse durch Erprobung besser zu verstehen und daraus zu lernen. Der Sinn der Fahrradzone ist es, den Radverkehr zu stärken und ortsfremden Kfz-Verkehr aus Siedlungen fernzuhalten. Es kann festgehalten werden, dass beides passiert ist. Für verkehrplus lässt sich daraus ableiten: Experiment gelungen!
Die Evaluierung des Experimentierraums, Beobachtungen, Erhebungen und Befragungen mit Anwohner:innen und Nutzer:innen läuft noch bis Herbst 2024. Danach wird entschieden ob und in welcher Form die Fahrradzone in den „Normalbetrieb“ übergehen kann. Positives Feedback wie dieses aus der Straßenbefragung zeigt, dass die Lösung Akzeptanz findet: „Gutes Projekt! Man kann in der Fahrradzone sicherer fahren. Ich nutze die Fahrradzone gerne, um der Hauptstraße zu entgehen. Ich bin nach wie vor begeistert vom Projekt!“
Fortsetzung folgt?
Im Bericht der Kleinen Zeitung vom 16. April 2024 wurden die positiven Ergebnise gewürdigt. Es liegt bereits Nachfrage aus einer zweiten Gemeinde vor:
Die Evaluation wurde von verkehrplus und Joanneum Research durchgeführt. Die Fahrradzone in Fernitz-Mellach ist integraler Bestandteil des Radverkehrskonzeptes „GU SUED“, einem Zusammenschluss von Grazer Umlandgemeinden südlich von Graz. Das Land Steiermark war als Projektpartner an der Fahrradzone beteiligt. Das Projekt wurde 2023 mit dem VCÖ Mobilitätspreis Steiermark als Siegerprojekt ausgezeichnet.
Fotos: Stadt Bremen, verkehrplus. Text: verkehrplus, Redaktion
Mehr von den Radkompetenz-Mitgliedern in diesem Artikel:
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In der steirischen Gemeinde Fernitz-Mellach findet ein Experiment statt. Hier wird für 12 Monate die erste Fahrradzone Österreichs ausprobiert und umfassend evaluiert. Der Unterschied zur deutschen Regelung, wo Fahrradzonen bereits seit 2020 verankert sind: In Österreich existiert der Begriff rechtlich noch nicht. Der Pilotversuch wird von Radkompetenz-Mitglied verkehrplus geplant und begleitet, wir bringen erste Ergebnisse der Evaluation. Funktionalität und Wirkung einer Fahrradzone sollen auf einem rund drei Kilometer langen Straßennetz ergründet werden, Verordnungstafeln und Bodenmarkierungen weisen an den Einfahrten in die Fahrradzone alle Verkehrsteilnehmer:innen auf die neuen Verhaltensregeln hin.
Was ist eine Fahrradzone?
Eine Fahrradzone ist ein Netz aus zusammenhängenden Fahrradstraßen. Sie stellt eine Weiterentwicklung der Tempo-30 Zone aus den 1990ern dar. Der Unterschied: Kfz-Lenker:innen dürfen den Radverkehr nicht behindern. Radfahrende dürfen nebeneinander fahren und wenn erforderlich, muss der Kfz-Verkehr seine Geschwindigkeit anpassen. Fahrradzonen sind bereits seit 2020 im deutschen Straßenverkehrsrecht als Verordnungsinstrument verankert. Zur Attraktivierung des Radfahrens entstand in Bremen die erste Fahrradzone Deutschlands, in der das Fahrrad im ganzen Quartier Vorrang hat.
Die Alte Neustadt in Bremen wurde zur ersten Fahrradzone Deutschlands erklärt, dabei wurde ein Netz aus Fahrradstraßen gesponnen wie in Fernitz. Die Zone umfasste rund 2,5 Straßenkilometer auf zwölf Straßen.
Warum Fahrradzone?
Nach der österreichischen StVO-Novelle vom Oktober 2022 ist es laut § 68 für Radfahrende erlaubt, „sofern niemand gefährdet wird, das Verkehrsaufkommen es zulässt und andere Verkehrsteilnehmer nicht am Überholen gehindert werden“, in Straßen mit Tempo 30 nebeneinander zu fahren, ausgenommen sind u.a. Vorrangstraßen. Warum es noch die Fahrradzone braucht, erklärt verkehrplus folgendermaßen: Der Unterschied liegt in der Wahrnehmung, im Blickwinkel, in der Wertschätzung. Während in der Tempo-30-Straße das Nebeneinanderfahren von Radfahrenden gebilligt, gewährt und erlaubt ist, ist es in der Fahrradzone erwünscht, geboten und „normal“. Radfahren wird zum System, nicht zur Ausnahme! Das Fahrrad wird zum Maßstab – sein Tempo bestimmt, mit welcher Geschwindigkeit Kfz dem Fahrrad folgen. Ohne „Druck von hinten“ nebeneinander radeln und ohne Sorge vor knappen Überholmanövern.
Die Fahrradzone hebt den Stellenwert von Radfahrenden als vollwertige Verkehrsteilnehmer:innen auf Augenhöhe mit den Kfz-Nutzer:innen. Die „schwächeren“ Verkehrsteilnehmer:innen werden dadurch „gestärkt“. Die Fahrradzone transformiert das bestehende Nebenstraßennetz zu einem attraktiven, flächendeckenden und komfortablen Radverkehrsnetz, das vor der Haustüre beginnt. Und so ganz nebenbei verbietet sie ortsfremden Kfz-Durchzug.
Umgesetzt wurde die Fahrradzone StVO-konform, indem mehrere Straßen und Straßenabschnitte als aneinanderhängende Fahrradstraßen verordnet wurden, versehen mit der Zusatztafel „Zone“. Diese Vorgangsweise wurde juristisch geprüft, ein Rechtsgutachten für die Verordnung als Fahrradstraße mit der zusätzlichen Information „Zone“ als Zusatztafel besteht. Die Verordnungsprüfung des Landes Steiermark läuft.
Evaluationsergebnisse: Experiment gelungen?
Die blaue Farbe an den Zufahrten der Fahrradzone war noch nicht trocken, da läuteten bereits Telefone in der Gemeinde. Einige Anwohner:innen missverstanden die neue Verordnung. Gerüchte wie: „Wir dürfen mit dem Auto nicht mehr zu unseren eigenen Häusern fahren!“ und „Jetzt haben die Radlfahrer überall Vorrang!“ machten die Runde. Weitere Aufklärung war erforderlich. Die Gemeinde erhöhte die Kommunikation weiter mit zusätzlichen Info-Plakaten und Veranstaltungen. Der zuständige Vizebürgermeister und die verantwortlichen Planer:innen standen Rede und Antwort. Schnell stellte sich heraus: die Fahrradzone selbst ist kein Problem, liefert jedoch eine ideale Plattform, um über den Verkehr vor der eigenen Haustüre zu diskutieren.
Befragungsergebnis Nr. 1 aus der Online-Befragung zur Evaluierung der Fahrradzone in der Gemeinde Fernitz-Mellach zeigt bei 335 Antworten sehr hohe Zustimmung: 88 Prozent der Befragten erwarten sich eine Verbesserung der Verkehrssituation durch die Einführung der Fahrradzone. (verkehrplus, 2024)
Befragungsergebnis Nr. 2 aus der Straßenbefragung zur Evaluierung der Fahrradzone zeigt ein sehr hohes Sicherheitsgefühl in der Fahrradzone. Nur 6% würden keine Kinder in der Fahrradzone radeln lassen. (verkehrplus, 2024)
Befragungsergebnis Nr. 3 aus der Straßenbefragung zeigt 24% positiver Meinung gegenüber 7% negativer Meinung. (verkehrplus, 2024)
Die bereits verfügbaren Ergebnisse der Evaluierung zeigen also , dass die Fahrradzone von den meisten Befragten begrüßt wird und hohes Sicherheitsgefühl vermittelt. Die seit Jahren latenten Probleme, welche die Menschen ansprechen, wie hohe Geschwindigkeiten, fehlende Rücksichtnahme oder uneinsichtige Kreuzungen, hängen nicht mit der Fahrradzone zusammen und bestünden auch ohne Fahrradzone. Im Gegenteil, so manches Problem verkleinert sich sogar durch die Fahrradzone.
Experiment gelungen!
Der Sinn eines Experimentes ist es, Zusammenhänge oder Prozesse durch Erprobung besser zu verstehen und daraus zu lernen. Der Sinn der Fahrradzone ist es, den Radverkehr zu stärken und ortsfremden Kfz-Verkehr aus Siedlungen fernzuhalten. Es kann festgehalten werden, dass beides passiert ist. Für verkehrplus lässt sich daraus ableiten: Experiment gelungen!
Die Evaluierung des Experimentierraums, Beobachtungen, Erhebungen und Befragungen mit Anwohner:innen und Nutzer:innen läuft noch bis Herbst 2024. Danach wird entschieden ob und in welcher Form die Fahrradzone in den „Normalbetrieb“ übergehen kann. Positives Feedback wie dieses aus der Straßenbefragung zeigt, dass die Lösung Akzeptanz findet: „Gutes Projekt! Man kann in der Fahrradzone sicherer fahren. Ich nutze die Fahrradzone gerne, um der Hauptstraße zu entgehen. Ich bin nach wie vor begeistert vom Projekt!“
Fortsetzung folgt?
Im Bericht der Kleinen Zeitung vom 16. April 2024 wurden die positiven Ergebnise gewürdigt. Es liegt bereits Nachfrage aus einer zweiten Gemeinde vor:
Die Evaluation wurde von verkehrplus und Joanneum Research durchgeführt. Die Fahrradzone in Fernitz-Mellach ist integraler Bestandteil des Radverkehrskonzeptes „GU SUED“, einem Zusammenschluss von Grazer Umlandgemeinden südlich von Graz. Das Land Steiermark war als Projektpartner an der Fahrradzone beteiligt. Das Projekt wurde 2023 mit dem VCÖ Mobilitätspreis Steiermark als Siegerprojekt ausgezeichnet.
Fotos: Stadt Bremen, verkehrplus. Text: verkehrplus, Redaktion
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