StVO-Novelle für Österreich nach Begutachtung beschlossen

Gewessler

Am 29. April präsentierte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler den Entwurf der StVO-Novelle, die wichtige Verbesserungen für Radverkehr und Fußgänger:innen verspricht. Der Entwurf war bis 1. Juni 2022 in Begutachtung und wurde am 6. Juli 2022 im Nationalrat beschlossen. Zu den Highlights gehören die Erlaubnis des Rechtsabbiegens bei roter Ampel mit Zusatzpfeil, der verpflichtende Überholabstand für Kfz und das erlaubte Nebeinanderfahren. Der Beschluss brachte allerdings auch Abstriche.

Was steckt Neues in der Novelle?

Hier ein Überblick der einzelnen Veränderungen, die den Radverkehr betreffen. Die gesamte Novelle finden Sie als Begutachtungsentwurf hier, daraus stammen die unten als „Zitat“ gekennzeichneten Stellen.  Bis 1. Juni 2022 konnten Stellungnahmen im österreichischen Parlament online im Begutachtungsverfahren abgegeben werden. Die Stellungnahme der Stadt Wien führte dazu, dass die Punkte zu Einbahnöffnung und Kreuzungsbereich nicht in die Novelle aufgenommen werden konnten.

  1. Klar definierter Überholabstand: Beim Überholen von Radfahrenden müssen Kraftfahrzeuge innerorts einen Mindestabstand von 1,5 Metern einhalten und außerorts von 2 Metern. Bis zu einem Tempo des Kfz von 30 km/h darf die Überholdistanz jedoch unterschritten werden, falls noch ausreichend Abstand eingehalten werden kann, nämlich ein „der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechender seitlicher Abstand vom Fahrzeug, das überholt wird.“
  2. Einführung von Rechtsabbiegen bei roter Ampel: Gemeinden und Städte haben künftig die Möglichkeit, mittels Grünpfeil-Zusatzschild bei einzelnen Kreuzungen dem Radverkehr das Rechtsabbiegen bei Rot zu erlauben. Die Radfahrenden haben gegenüber querenden Fußgänger:innen Nachrang und müssen vor dem Abbiegevorgang ähnlich wie bei einem Stop-Schild anhalten. Bei T-Kreuzungen ist es analog erlaubt, geradeaus zu fahren. Diese Regelung darf „nur erlassen werden, wenn hinsichtlich der dadurch bestimmten Kreuzungen aus Gründen der Verkehrssicherheit keine Bedenken bestehen.“
  3. Radfahren gegen die Einbahn wird zum Standard:  Wurde nicht in die Novelle aufgenommen. Dadurch hätten Einbahnen mit einer Breite von mindestens vier Metern ohne Parkplätze und Tempo 30 für den Radverkehr per Gesetz geöffnet sein sollen, außer die Behörde begründet, dass dies aus Sicherheitsgründen nicht möglich wäre.
  4. Nebeneinander Radfahren wird erlaubt: Künftig darf mit dem Fahrrad neben einem radelnden Kind gefahren werden, was eine große Erleichterung für Eltern und andere Begleitpersonen darstellt. Alle Radler:innen dürfen mit einem einspurigen Fahrrad neben einem anderen Fahrrad auf Tempo 30 Straßen fahren, ausgenommen auf Schienenstraßen und Vorrangstraßen, aber: „sofern niemand gefährdet wird, das Verkehrsaufkommen es zulässt und andere Verkehrsteilnehmer nicht am Überholen gehindert werden.“
  5. Schnelle E-Bikes auf Überland-Radwegen: Radwege oder gemischte Fuß- und Radwege dürfen von S-Pedelecs (E-Bikes mit Geschwindigkeiten bis zu 45 km/h und Kennzeichenpflicht) außerorts befahren werden, ebenso von landwirtschaftlichen Fahrzeugen. Dafür muss der Radweg mit einem Zusatzschild gekennzeichnet sein, dh. die Regelung gilt nicht generell sondern nur bei spezifischer Kundmachung.
  6. Erleichterung bei Fahrradstraßen: Die Behörde kann nach diser Novelle „nach Maßgabe der Erfordernisse und unter Bedachtnahme auf die örtlichen Gegebenheiten bestimmen, dass die Fahrradstraße Schilddauernd oder zu bestimmten Zeiten oder zu Zwecken der Durchfahrt“ mit Kfz befahren werden darf. Das erleichtert die Einführung von Fahrradstraßen deutlich und greift die deutsche Regelung (rechts im Bild) auf.
  7. Queren von Kreuzungen im geschlossenen Verband: Radfahrenden in Gruppen ab zehn Personen soll das Queren einer Kreuzung in der geschlossenen Gruppe erlaubt werden, auch wenn die Ampel währenddessen auf Rot schaltet: „Dabei sind beim Einfahren in die Kreuzung die für Radfahrer geltenden Vorrangregeln zu beachten; der voran fahrende Radfahrer hat im Kreuzungsbereich den übrigen Fahrzeuglenkern das Ende der Gruppe durch Handzeichen zu signalisieren und erforderlichenfalls vom Fahrrad abzusteigen. Der erste und letzte Radfahrer der Gruppe haben dabei eine reflektierende Warnweste zu tragen.“
  8. Verbesserung an Radüberfahrten: Radfahrende dürfen sich ungeregelten Radfahrerüberfahrten zwar weiterhin nur mit einer Geschwindigkeit von höchstens 10 km/h nähern „und diese nicht unmittelbar vor einem herannahenden Fahrzeug und für dessen Lenker überraschend befahren“, aber das gilt nicht mehr, wenn „in unmittelbarer Nähe aktuell kein motorisierter Verkehr fährt.“
  9. Klärung bezüglich Strafhöhen: Wenn Radfahrernde gegen eine oder mehrere Ausrüstungsbestimmungen der Fahrradverordnung bezüglich Reflektoren oder Lichter verstoßen,  ist das nur mehr „als eine einzelne Verwaltungsübertretung zu bestrafen.“
  10. Fahrradparken in Fuzos: Derzeit ist das Abstellen von Fahrrädern in Fußgängerzonen nur zu Zeiten des erlaubten Befahrens für die Dauer der dort zu verrichtenden Tätigkeit erlaubt. Mit der Novelle soll das Abstellen von Fahrrädern immer erlaubt werden.

Vom Blaulicht bis zur Sackgasse

Weiters sind diese Verbesserungen für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen in der StVO-Novelle enthalten:

  • Bei Ampeln sind die Bedürfnisse der Fußgänger:innen besser zu berücksichtigen, Grünphasen sollen länger, Rotphasen wiederum verkürzt werden.
  • Ausdrücklich untersagt werden Behinderungen auf „Verkehrsflächen, die dem Fußgängerverkehr oder dem Fahrradverkehr vorbehalten sind“ durch überragende Kfz oder andere Hindernisse.
  • Die verkehrsberuhigte Schulstraße bekommt auch ein eigenes Verkehrszeichen, die Einführung wird nun für die Gemeinden und Städte durch eine einheitliche Regelung erleichtert. Dabei ist das Schulumfeld zu bestimmten Zeiten nicht mit Kfz befahrbar, sondern nur zu Fuß oder per Fahrrad zu erreichen.
  • Lkw dürfen künftig nur mit Schritttempo rechts abbiegen, wenn Fußgänger:innen oder Radfahrer:innen in der Nähe sind, genauer: „wenn mit geradeaus fahrendem Fahrradverkehr, in selber Fahrtrichtung rechts abbiegendem Fahrradverkehr oder im unmittelbaren Bereich des Einbiegens mit die Fahrbahn überquerendem Fußgängerverkehr zu rechnen ist“.
  • Das Vorbeifahren an Öffentlichen Verkehrsmitteln in Haltestellen ist für Fahrzeuglenker:innen – also auch Radfahrer:innen – „auf der Seite, die für das Ein- oder Aussteigen bestimmt ist,“ nicht gestattet.
  • Die Polizei darf „auf Fahrrädern, die durch den öffentlichen Sicherheitsdienst verwendet werden, Scheinwerfer und Warnleuchten mit blauem Licht und Vorrichtungen zum Abgeben von Warnzeichen mit aufeinanderfolgenden verschieden hohen Tönen“ anbringen.
  • Neue Beschilderungen kommen für Sackgassen mit Durchgehmöglichkeit oder DurchfahrmöglichkeSchildit für Radfahrende und für Hinweise auf E-Ladestellen mit Entfernungsangabe. Auch die Wegweiser für Radverkehr werden nun in der StVO verankert.
  • Wenn ein Schutzweg vorhanden oder nicht mehr als 25 m entfernt ist, muss dieser zum Überqueren der Fahrbahn benutzt werdenen, jedoch gilt dies nicht mehr, „wenn es die Verkehrslage zweifellos zulässt und der Fahrzeugverkehr
    nicht behindert wird“
  • Fußgänger:innen dürfen die Fahrbahn nun auch „auf geradem Weg überqueren, um eine Haltestelleninsel zu erreichen oder zu verlassen, wenn der Verkehr weder durch Arm- noch durch Lichtzeichen geregelt wird.“
  • Zur Verbesserung der Sichtbeziehungen im Kreuzungsbereich hätte der derzeit geltende Mindestabstand
    für das Halten und Parken von derzeit 5 m auf 8 m mittels Sicherung durch Sperrfläche oder bauliche
    Maßnahmen angehoben werden sollen, der Punkt fiel aber auch der Stellungnahme der Stadt Wien zum Opfer.

Hier ist der aufschlussreiche Erläuterungstext der Begutachtunsgvorlage im Parlament einzusehen.

Studienergebnisse: Rechts abbiegen bei Rot ist sicher

Einige Neuerungen zeigen deutlich den politischen Bedarf des Kompromisses, wie die Einschränkungen des nebeneinander Radfahrens oder Warnwestenpflicht für Radgruppenbegleiter:innen beim Queren von Kreuzungen im geschlossenen Verband. Weiters wurde von zahlreichen Fachleuten vorgeschlagen, die Einbahnöffnung bereits ab einer Breite von 3,5 Metern einzuführen. In Belgien sind Einbahnen sogar ab drei Metern für den Radverkehr geöffnet. In der Schweiz gilt die Regelung zur Einbahnöffnung generell, außer die Behörde bringt Sicherheitsgründe dagegen vor.

Vorbild für die österreichische Regelung zum Rechtsabbiegen bei Rot ist die Regelung in Deutschland, dazu berichteten wir hier. Dabei zeigt ein Zusatzschild mit grünem Pfeil jene Ampeln an, bei denen bei Rotlich nach einem Halt weitergefahren werden darf, wenn niemand gefährdet oder behindert wird. Die deutsche Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hat in einen Pilotversuch im Jahr 2019 den grünen Pfeil für rechtsabbiegende Radfahrende untersucht. Das Ergebnis zeigte klar: Der Grünpfeil fürs Fahrrad ist sicher. Andere Verkehrsteilnehmer:innen wurden dabei in der Regel nicht behindert oder gefährdet.

Die BASt schlussfolgerte daraus, dass eine Anordnung des Rechtsabbiegens bei Rot für den Radverkehr an Ampeln möglich ist, ohne die Verkehrssicherheit zu gefährden – das traf auch dann zu, wenn die Radfahrenden nicht zum Halt stehen blieben (Quelle ADFC).

Grüner Pfeil

Der Pilotversuch der Schweiz in Basel ab 2013 hatte gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit für Konflikte zwischen Radfahrenden, die bei Rot abbiegen, und vortrittsberechtigten Fussgänger:innen äusserst gering ist, nämlich weniger als 0,5 Prozent. Während der ganzen Versuchsdauer kam es zu keinem Unfall aufgrund von bei Rot abbiegenden Radfahrer:innen – bei ungefähr 1 Million Fahrten. (Quelle Mobilservice) Die Schweiz führte dieses Regelung daraufhin im ganzen Land ein.

Auch Belgien und Frankreich ließen nach Pilotversuchen eine ähnliche Regelung mit Zusatzschild zu. Bei all diesen Ländern ist kein Halt nötig, die Weiterfahrt erfolgt nach dem „Vorrang geben“-Prinzip. Gleiches gilt für Dänemark, dessen Ausnahmeregelung in der Grafik rechts dargestellt ist.

Radkompetenz-Video aus Frankreich

Als Beispiel der in Paris allgegenwärtigen Regelungen zum Rechtsabbiegen bei Rot zeigen wir hier zwei exemplarische Situationen – eine davon auch zum Geradeaus-Fahren an T-Kreuzungen.

Einschätzung der Radlobby Österreich

Unser Radkompetenz-Mitglied Radlobby Österreich hat bereits am 29.4. eine erste Einschätzung veröffentlicht, die wir hier wiedergeben:

Österreich mache mit der StVO-Novelle 2022 viele wichtige Schritte in der Mobilitätswende, so die Radlobby. Die Regierung hole den jahrelangen Rückstand zu europäischen Staaten endlich teilweise auf, weitere rechtliche Verbesserungen und Investitionen in regionale Radverkehrsnetze seien aber notwendig für die gewünschte Verdoppelung des Radverkehrs. Hier finden Sie eine Videoaufzeichnung der Pressekonferenz und eine Pressemeldung von Hermann Weratschnig, Verkehrssprecher der Grünen

Die Einführung des definierten gesetzlichen Überholabstands beim Überholen von Fahrrädern durch Kraftfahrzeuge schafft klare Verhältnisse und hebt die Verkehrssicherheit. Österreich führt damit endlich ein, was in Frankreich, Spanien, Deutschland, Belgien und Portugal schon jahrelang Praxis ist. Eine seit den achtziger Jahren zentrale Radlobby-Forderung wird damit Realität: Das Miteinander wird bei ausreichend Platz ein Nebeneinander mit Respektabstand, bei wenig Platz ein Hintereinander mit angepasster Fahrgeschwindigkeit.

Die Regierung einigt sich laut Radlobby damit auf Teile eines seit drei Jahren diskutierten Bündels an grundlegenden Verbesserungen, das von der Radlobby Österreich im Unterausschuss Radverkehr (Verkehrssicherheitsbeirat, BMK) mitverhandelt wurde. Teile des europäischen Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr werden in österreichisches Recht übergeführt.

„Heute ist ein guter Tag für die Mobilität in Österreich. Drei Meilensteine für Sicherheit, Lebensqualität und Klimaschutz durch mehr und leichteren Radverkehr haben unsere Mitglieder und Radfahrende in ganz Österreich schon lange ersehnt: Der gesetzlich definierte Mindest-Überholabstand für Kraftfahrzeuge beim Überholen von Fahrrädern bringt mehr Sicherheit unterwegs. Mit der Möglichkeit des Grünpfeils an Ampeln für Gemeinden verbessert den Verkehrsfluss und reduziert Wartezeiten. Die flächendeckende Prüfung der Öffnung von Einbahnen spart Zeit und ermöglicht kurz Wege von A nach B.“ so Roland Romano, Sprecher der Radlobby Österreich.

Die rechtliche Möglichkeit des Grünpfeils an Ampeln beschreibt, was die Niederlande seit 31 Jahren haben; Frankreich seit einem Jahrzehnt und was über 190 Millionen Europäer:innen seit 2017 praktizieren: Besserer Verkehrsfluss an Ampeln und weniger überflüssige Verzögerungen dank zeitgemäßer Verhaltensvorschriften an Lichtzeichen.

Die Öffnung von Einbahnen ist in Österreich seit den 1980er Jahren möglich, die Umsetzung verläuft jedoch äußerst schleppend. Mit dem gesetzlichen Auftrag zur Prüfung und Öffnung wird dies beschleunigt und Österreich folgt damit der Empfehlung der RVS Radverkehr. So kommen schneller mehr Menschen in den Genuss von benötigten Radfahrmöglichkeiten und kurzen Wegen.*

Auch der Verkehsrclub Österreich (VCÖ) begrüßt die Novelle inhaltlich: „Mit dieser StVO-Novelle bekommt Österreich endlich Regelungen, die in anderen europäischen Staaten schon lange gang und gäbe sind. Ein längst überfälliger Schritt, weil in Zeiten der Klimakrise und des zunehmenden Bewegungsmangels, aktive Mobilität nicht behindert, sondern gefördert werden muss“, stellt VCÖ-Experte Michael Schwendinger hier fest.

*Inhalte übernommen von: radlobby.at/stvo2022

Foto ganz oben: Verkehrsministerin Gewessler (BMK), Fraktions-Mobilitätssprecher Andreas Ottenschläger (ÖVP) und Lukas Hammer (Grüne) stellten am 29.4.2022 ein umfassendes Paket von Verbesserungen zum Gehen & Radfahren vor.

Veröffentlicht am: 6. Oktober 2023Kategorien: Förderer & InitiativenSchlagwörter:

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Gewessler

Am 29. April präsentierte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler den Entwurf der StVO-Novelle, die wichtige Verbesserungen für Radverkehr und Fußgänger:innen verspricht. Der Entwurf war bis 1. Juni 2022 in Begutachtung und wurde am 6. Juli 2022 im Nationalrat beschlossen. Zu den Highlights gehören die Erlaubnis des Rechtsabbiegens bei roter Ampel mit Zusatzpfeil, der verpflichtende Überholabstand für Kfz und das erlaubte Nebeinanderfahren. Der Beschluss brachte allerdings auch Abstriche.

Was steckt Neues in der Novelle?

Hier ein Überblick der einzelnen Veränderungen, die den Radverkehr betreffen. Die gesamte Novelle finden Sie als Begutachtungsentwurf hier, daraus stammen die unten als „Zitat“ gekennzeichneten Stellen.  Bis 1. Juni 2022 konnten Stellungnahmen im österreichischen Parlament online im Begutachtungsverfahren abgegeben werden. Die Stellungnahme der Stadt Wien führte dazu, dass die Punkte zu Einbahnöffnung und Kreuzungsbereich nicht in die Novelle aufgenommen werden konnten.

  1. Klar definierter Überholabstand: Beim Überholen von Radfahrenden müssen Kraftfahrzeuge innerorts einen Mindestabstand von 1,5 Metern einhalten und außerorts von 2 Metern. Bis zu einem Tempo des Kfz von 30 km/h darf die Überholdistanz jedoch unterschritten werden, falls noch ausreichend Abstand eingehalten werden kann, nämlich ein „der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechender seitlicher Abstand vom Fahrzeug, das überholt wird.“
  2. Einführung von Rechtsabbiegen bei roter Ampel: Gemeinden und Städte haben künftig die Möglichkeit, mittels Grünpfeil-Zusatzschild bei einzelnen Kreuzungen dem Radverkehr das Rechtsabbiegen bei Rot zu erlauben. Die Radfahrenden haben gegenüber querenden Fußgänger:innen Nachrang und müssen vor dem Abbiegevorgang ähnlich wie bei einem Stop-Schild anhalten. Bei T-Kreuzungen ist es analog erlaubt, geradeaus zu fahren. Diese Regelung darf „nur erlassen werden, wenn hinsichtlich der dadurch bestimmten Kreuzungen aus Gründen der Verkehrssicherheit keine Bedenken bestehen.“
  3. Radfahren gegen die Einbahn wird zum Standard:  Wurde nicht in die Novelle aufgenommen. Dadurch hätten Einbahnen mit einer Breite von mindestens vier Metern ohne Parkplätze und Tempo 30 für den Radverkehr per Gesetz geöffnet sein sollen, außer die Behörde begründet, dass dies aus Sicherheitsgründen nicht möglich wäre.
  4. Nebeneinander Radfahren wird erlaubt: Künftig darf mit dem Fahrrad neben einem radelnden Kind gefahren werden, was eine große Erleichterung für Eltern und andere Begleitpersonen darstellt. Alle Radler:innen dürfen mit einem einspurigen Fahrrad neben einem anderen Fahrrad auf Tempo 30 Straßen fahren, ausgenommen auf Schienenstraßen und Vorrangstraßen, aber: „sofern niemand gefährdet wird, das Verkehrsaufkommen es zulässt und andere Verkehrsteilnehmer nicht am Überholen gehindert werden.“
  5. Schnelle E-Bikes auf Überland-Radwegen: Radwege oder gemischte Fuß- und Radwege dürfen von S-Pedelecs (E-Bikes mit Geschwindigkeiten bis zu 45 km/h und Kennzeichenpflicht) außerorts befahren werden, ebenso von landwirtschaftlichen Fahrzeugen. Dafür muss der Radweg mit einem Zusatzschild gekennzeichnet sein, dh. die Regelung gilt nicht generell sondern nur bei spezifischer Kundmachung.
  6. Erleichterung bei Fahrradstraßen: Die Behörde kann nach diser Novelle „nach Maßgabe der Erfordernisse und unter Bedachtnahme auf die örtlichen Gegebenheiten bestimmen, dass die Fahrradstraße Schilddauernd oder zu bestimmten Zeiten oder zu Zwecken der Durchfahrt“ mit Kfz befahren werden darf. Das erleichtert die Einführung von Fahrradstraßen deutlich und greift die deutsche Regelung (rechts im Bild) auf.
  7. Queren von Kreuzungen im geschlossenen Verband: Radfahrenden in Gruppen ab zehn Personen soll das Queren einer Kreuzung in der geschlossenen Gruppe erlaubt werden, auch wenn die Ampel währenddessen auf Rot schaltet: „Dabei sind beim Einfahren in die Kreuzung die für Radfahrer geltenden Vorrangregeln zu beachten; der voran fahrende Radfahrer hat im Kreuzungsbereich den übrigen Fahrzeuglenkern das Ende der Gruppe durch Handzeichen zu signalisieren und erforderlichenfalls vom Fahrrad abzusteigen. Der erste und letzte Radfahrer der Gruppe haben dabei eine reflektierende Warnweste zu tragen.“
  8. Verbesserung an Radüberfahrten: Radfahrende dürfen sich ungeregelten Radfahrerüberfahrten zwar weiterhin nur mit einer Geschwindigkeit von höchstens 10 km/h nähern „und diese nicht unmittelbar vor einem herannahenden Fahrzeug und für dessen Lenker überraschend befahren“, aber das gilt nicht mehr, wenn „in unmittelbarer Nähe aktuell kein motorisierter Verkehr fährt.“
  9. Klärung bezüglich Strafhöhen: Wenn Radfahrernde gegen eine oder mehrere Ausrüstungsbestimmungen der Fahrradverordnung bezüglich Reflektoren oder Lichter verstoßen,  ist das nur mehr „als eine einzelne Verwaltungsübertretung zu bestrafen.“
  10. Fahrradparken in Fuzos: Derzeit ist das Abstellen von Fahrrädern in Fußgängerzonen nur zu Zeiten des erlaubten Befahrens für die Dauer der dort zu verrichtenden Tätigkeit erlaubt. Mit der Novelle soll das Abstellen von Fahrrädern immer erlaubt werden.

Vom Blaulicht bis zur Sackgasse

Weiters sind diese Verbesserungen für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen in der StVO-Novelle enthalten:

  • Bei Ampeln sind die Bedürfnisse der Fußgänger:innen besser zu berücksichtigen, Grünphasen sollen länger, Rotphasen wiederum verkürzt werden.
  • Ausdrücklich untersagt werden Behinderungen auf „Verkehrsflächen, die dem Fußgängerverkehr oder dem Fahrradverkehr vorbehalten sind“ durch überragende Kfz oder andere Hindernisse.
  • Die verkehrsberuhigte Schulstraße bekommt auch ein eigenes Verkehrszeichen, die Einführung wird nun für die Gemeinden und Städte durch eine einheitliche Regelung erleichtert. Dabei ist das Schulumfeld zu bestimmten Zeiten nicht mit Kfz befahrbar, sondern nur zu Fuß oder per Fahrrad zu erreichen.
  • Lkw dürfen künftig nur mit Schritttempo rechts abbiegen, wenn Fußgänger:innen oder Radfahrer:innen in der Nähe sind, genauer: „wenn mit geradeaus fahrendem Fahrradverkehr, in selber Fahrtrichtung rechts abbiegendem Fahrradverkehr oder im unmittelbaren Bereich des Einbiegens mit die Fahrbahn überquerendem Fußgängerverkehr zu rechnen ist“.
  • Das Vorbeifahren an Öffentlichen Verkehrsmitteln in Haltestellen ist für Fahrzeuglenker:innen – also auch Radfahrer:innen – „auf der Seite, die für das Ein- oder Aussteigen bestimmt ist,“ nicht gestattet.
  • Die Polizei darf „auf Fahrrädern, die durch den öffentlichen Sicherheitsdienst verwendet werden, Scheinwerfer und Warnleuchten mit blauem Licht und Vorrichtungen zum Abgeben von Warnzeichen mit aufeinanderfolgenden verschieden hohen Tönen“ anbringen.
  • Neue Beschilderungen kommen für Sackgassen mit Durchgehmöglichkeit oder DurchfahrmöglichkeSchildit für Radfahrende und für Hinweise auf E-Ladestellen mit Entfernungsangabe. Auch die Wegweiser für Radverkehr werden nun in der StVO verankert.
  • Wenn ein Schutzweg vorhanden oder nicht mehr als 25 m entfernt ist, muss dieser zum Überqueren der Fahrbahn benutzt werdenen, jedoch gilt dies nicht mehr, „wenn es die Verkehrslage zweifellos zulässt und der Fahrzeugverkehr
    nicht behindert wird“
  • Fußgänger:innen dürfen die Fahrbahn nun auch „auf geradem Weg überqueren, um eine Haltestelleninsel zu erreichen oder zu verlassen, wenn der Verkehr weder durch Arm- noch durch Lichtzeichen geregelt wird.“
  • Zur Verbesserung der Sichtbeziehungen im Kreuzungsbereich hätte der derzeit geltende Mindestabstand
    für das Halten und Parken von derzeit 5 m auf 8 m mittels Sicherung durch Sperrfläche oder bauliche
    Maßnahmen angehoben werden sollen, der Punkt fiel aber auch der Stellungnahme der Stadt Wien zum Opfer.

Hier ist der aufschlussreiche Erläuterungstext der Begutachtunsgvorlage im Parlament einzusehen.

Studienergebnisse: Rechts abbiegen bei Rot ist sicher

Einige Neuerungen zeigen deutlich den politischen Bedarf des Kompromisses, wie die Einschränkungen des nebeneinander Radfahrens oder Warnwestenpflicht für Radgruppenbegleiter:innen beim Queren von Kreuzungen im geschlossenen Verband. Weiters wurde von zahlreichen Fachleuten vorgeschlagen, die Einbahnöffnung bereits ab einer Breite von 3,5 Metern einzuführen. In Belgien sind Einbahnen sogar ab drei Metern für den Radverkehr geöffnet. In der Schweiz gilt die Regelung zur Einbahnöffnung generell, außer die Behörde bringt Sicherheitsgründe dagegen vor.

Vorbild für die österreichische Regelung zum Rechtsabbiegen bei Rot ist die Regelung in Deutschland, dazu berichteten wir hier. Dabei zeigt ein Zusatzschild mit grünem Pfeil jene Ampeln an, bei denen bei Rotlich nach einem Halt weitergefahren werden darf, wenn niemand gefährdet oder behindert wird. Die deutsche Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hat in einen Pilotversuch im Jahr 2019 den grünen Pfeil für rechtsabbiegende Radfahrende untersucht. Das Ergebnis zeigte klar: Der Grünpfeil fürs Fahrrad ist sicher. Andere Verkehrsteilnehmer:innen wurden dabei in der Regel nicht behindert oder gefährdet.

Die BASt schlussfolgerte daraus, dass eine Anordnung des Rechtsabbiegens bei Rot für den Radverkehr an Ampeln möglich ist, ohne die Verkehrssicherheit zu gefährden – das traf auch dann zu, wenn die Radfahrenden nicht zum Halt stehen blieben (Quelle ADFC).

Grüner Pfeil

Der Pilotversuch der Schweiz in Basel ab 2013 hatte gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit für Konflikte zwischen Radfahrenden, die bei Rot abbiegen, und vortrittsberechtigten Fussgänger:innen äusserst gering ist, nämlich weniger als 0,5 Prozent. Während der ganzen Versuchsdauer kam es zu keinem Unfall aufgrund von bei Rot abbiegenden Radfahrer:innen – bei ungefähr 1 Million Fahrten. (Quelle Mobilservice) Die Schweiz führte dieses Regelung daraufhin im ganzen Land ein.

Auch Belgien und Frankreich ließen nach Pilotversuchen eine ähnliche Regelung mit Zusatzschild zu. Bei all diesen Ländern ist kein Halt nötig, die Weiterfahrt erfolgt nach dem „Vorrang geben“-Prinzip. Gleiches gilt für Dänemark, dessen Ausnahmeregelung in der Grafik rechts dargestellt ist.

Radkompetenz-Video aus Frankreich

Als Beispiel der in Paris allgegenwärtigen Regelungen zum Rechtsabbiegen bei Rot zeigen wir hier zwei exemplarische Situationen – eine davon auch zum Geradeaus-Fahren an T-Kreuzungen.

Einschätzung der Radlobby Österreich

Unser Radkompetenz-Mitglied Radlobby Österreich hat bereits am 29.4. eine erste Einschätzung veröffentlicht, die wir hier wiedergeben:

Österreich mache mit der StVO-Novelle 2022 viele wichtige Schritte in der Mobilitätswende, so die Radlobby. Die Regierung hole den jahrelangen Rückstand zu europäischen Staaten endlich teilweise auf, weitere rechtliche Verbesserungen und Investitionen in regionale Radverkehrsnetze seien aber notwendig für die gewünschte Verdoppelung des Radverkehrs. Hier finden Sie eine Videoaufzeichnung der Pressekonferenz und eine Pressemeldung von Hermann Weratschnig, Verkehrssprecher der Grünen

Die Einführung des definierten gesetzlichen Überholabstands beim Überholen von Fahrrädern durch Kraftfahrzeuge schafft klare Verhältnisse und hebt die Verkehrssicherheit. Österreich führt damit endlich ein, was in Frankreich, Spanien, Deutschland, Belgien und Portugal schon jahrelang Praxis ist. Eine seit den achtziger Jahren zentrale Radlobby-Forderung wird damit Realität: Das Miteinander wird bei ausreichend Platz ein Nebeneinander mit Respektabstand, bei wenig Platz ein Hintereinander mit angepasster Fahrgeschwindigkeit.

Die Regierung einigt sich laut Radlobby damit auf Teile eines seit drei Jahren diskutierten Bündels an grundlegenden Verbesserungen, das von der Radlobby Österreich im Unterausschuss Radverkehr (Verkehrssicherheitsbeirat, BMK) mitverhandelt wurde. Teile des europäischen Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr werden in österreichisches Recht übergeführt.

„Heute ist ein guter Tag für die Mobilität in Österreich. Drei Meilensteine für Sicherheit, Lebensqualität und Klimaschutz durch mehr und leichteren Radverkehr haben unsere Mitglieder und Radfahrende in ganz Österreich schon lange ersehnt: Der gesetzlich definierte Mindest-Überholabstand für Kraftfahrzeuge beim Überholen von Fahrrädern bringt mehr Sicherheit unterwegs. Mit der Möglichkeit des Grünpfeils an Ampeln für Gemeinden verbessert den Verkehrsfluss und reduziert Wartezeiten. Die flächendeckende Prüfung der Öffnung von Einbahnen spart Zeit und ermöglicht kurz Wege von A nach B.“ so Roland Romano, Sprecher der Radlobby Österreich.

Die rechtliche Möglichkeit des Grünpfeils an Ampeln beschreibt, was die Niederlande seit 31 Jahren haben; Frankreich seit einem Jahrzehnt und was über 190 Millionen Europäer:innen seit 2017 praktizieren: Besserer Verkehrsfluss an Ampeln und weniger überflüssige Verzögerungen dank zeitgemäßer Verhaltensvorschriften an Lichtzeichen.

Die Öffnung von Einbahnen ist in Österreich seit den 1980er Jahren möglich, die Umsetzung verläuft jedoch äußerst schleppend. Mit dem gesetzlichen Auftrag zur Prüfung und Öffnung wird dies beschleunigt und Österreich folgt damit der Empfehlung der RVS Radverkehr. So kommen schneller mehr Menschen in den Genuss von benötigten Radfahrmöglichkeiten und kurzen Wegen.*

Auch der Verkehsrclub Österreich (VCÖ) begrüßt die Novelle inhaltlich: „Mit dieser StVO-Novelle bekommt Österreich endlich Regelungen, die in anderen europäischen Staaten schon lange gang und gäbe sind. Ein längst überfälliger Schritt, weil in Zeiten der Klimakrise und des zunehmenden Bewegungsmangels, aktive Mobilität nicht behindert, sondern gefördert werden muss“, stellt VCÖ-Experte Michael Schwendinger hier fest.

*Inhalte übernommen von: radlobby.at/stvo2022

Foto ganz oben: Verkehrsministerin Gewessler (BMK), Fraktions-Mobilitätssprecher Andreas Ottenschläger (ÖVP) und Lukas Hammer (Grüne) stellten am 29.4.2022 ein umfassendes Paket von Verbesserungen zum Gehen & Radfahren vor.

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